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Musiker

John Zorn

John Zorn

geboren am 2.9.1952 in New York City, NY, USA

John Zorn

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John Zorn (* 2. September 1953 in New York City) ist ein US-amerikanischer Komponist und Bandleader. Er spielt Saxophon und Klarinette. John Zorn arbeitet außerdem als Musikproduzent, ist Inhaber des Plattenlabels Tzadik und des Veranstaltungslokals Stone Music Lab[1] in Manhattan und hat mit vielen experimentellen Musikern, insbesondere im Bereich Neue Musik und im Jazz, zusammengearbeitet.

Biographie

Zorn spielte als Kind Piano, Gitarre und Flöte. Während seines Studiums am Webster College erlernte er, beeinflusst durch Anthony Braxton und seinen dortigen Lehrer Oliver Lake, das Saxophonspiel. Anfänglich eher an Neuer Musik interessiert, wandte er sich in den 1970er Jahren dem Jazz zu. Er brach die formale Ausbildung ab und kehrte auf dem Umweg über die Westküste nach New York zurück, um sich im Umfeld der Musikszene der Lower East Side auf musikalische Projekte zu konzentrieren. Er verdiente sich während dieser Zeit seinen Lebensunterhalt unter anderem mit Arbeit in einem Schallplattenladen.

Zu seinen frühen Einflüssen gehört, neben Braxton, Eugene Chadbourne und Ornette Coleman, auch Karlheinz Stockhausen. Zorns Musik ist charakterisiert durch die Verarbeitung zahlreicher musikalischer Stile aus verschiedensten Quellen, wie etwa Filmmusik zu Zeichentrickfilmen, Free Jazz, Hardcore oder jüdische Folklore. Zorn kombiniert dabei oft kurze musikalische Sequenzen in collagenartiger Form, teilweise in rasanter Abfolge. 1975 gründete er sein Theatre of Musical Optics und begann zunächst die Zusammenarbeit mit Chadbourne, Tom Cora, Wayne Horvitz, Polly Bradfield und LaDonna Smith. Internationale Anerkennung erreichte er in den 1980ern. Während des nächsten Jahrzehnts arbeitete er sowohl in New York als auch in Tokio, wo er viele Werke schrieb und aufführte. 1998 produzierte er das Album 1930 des japanischen Noise-Künstlers Merzbow.

Zorn bekennt sich explizit zu seiner jüdischen Herkunft und verarbeitet in einigen seiner Projekte traditionell jüdische Elemente. Er gründete das Plattenlabel Tzadik. Dabei formulierte er eine neue sogenannte „Radical Jewish Culture“ und verabschiedete ein Manifest über das radikale Judentum seiner Musik, in dem er u. a. erklärte:

„Der Jude ist immer Ursprung einer doppelten Infragestellung gewesen: der Infragestellung des Selbst und der Infragestellung des ‚Anderen’. Da ihm nie die Möglichkeit gewährt wird, aufzuhören, jüdisch zu sein, ist er gezwungen, die Frage seiner Identität zu formulieren. Daher ist er von Anbeginn mit dem Diskurs des ‚Anderen’ konfrontiert, und oft hängt sein Leben davon ab. […] Mir wurde klar, dass ein Jude jemand ist, der naiv glaubt, dass er, wenn er selbstlos zu seiner Gastkultur beiträgt, akzeptiert werden wird. Aber wir sind die Außenseiter der Welt. Das ist es, was mich am Stamm [tribe] anzog – die Kultur des Außenseitertums.“

John Zorn[2]

2006 war er MacArthur Fellow. 2007 war er Preisträger der ökumenischen Stiftung Bibel und Kultur für Bibel und Musik.[3]

Musikalisches Werk

Das musikalische Werk von John Zorn wurde von Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann in ihrem Jazzbuch in acht grobe Kategorien eingeteilt:[4]

  1. Die freie Improvisation, der sich Zorn u. a. auf den Classic Guide to Strategy-Alben und in seiner Zusammenarbeit mit dem Posaunisten Jim Staley widmete. Auf diesen Aufnahmen nutzte er sog. duck calls (Lockpfeifen).
  2. Game pieces: improvisationsfreundlich gestaltete Werke, die nicht auf einer notierten Partitur beruhen, sondern bei denen die einzelnen Musiker mittels einer festgelegten Zeichensprache die Entwicklung des Kompositionsablaufs beeinflussen können. Zu den wichtigsten game-pieces-Alben gehören die frühen Parachute-Werke Lacrosse und Hockey sowie die Cobra-Serie, bei der ein in Instrumentierung und Anzahl der Musiker variables Ensemble durch vom „Dirigenten“ hochgehaltene Karten „Anweisungen“ erhält, die von den Musikern spontan interpretiert und umgesetzt werden. Beeinflusst wurde Zorn hierbei von den aleatorischen Werken der Neuen Musik (z. B. von Karlheinz Stockhausen oder Pierre Boulez).
  3. File card pieces: bei dieser Klasse von Zorns Werken bekommen die beteiligten Musiker assoziative Anweisungen, die auf Karteikarten (file cards) festgehalten werden. Zu den bedeutendsten Werken dieser Kategorie gehören Godard und Spillane. Dabei waren die Atmosphäre der Nouvelle Vague bzw. des Film noir das Element, das die ansonsten sehr eklektischen Kompositionen zusammenhalten sollte.
  4. Naked City, eine Band, mit der Zorn die file-card-Ästhetik des rasanten Stilwechsels live verwirklichen konnte. Die anderen Mitglieder der Band waren Bill Frisell, Wayne Horvitz, Fred Frith und Yamatsuka Eye. Ihre Musik verband in sehr dichten Stücken Elemente zahlreicher verschiedener Genres, entwickelte sich mit der Zeit aber immer weiter in die Hardcore-Richtung.
  5. Verbindung von Hardcore und Free Jazz: die Verbindung dieser beiden Genres (manchmal Jazzcore genannt) war für Zorn laut eigener Aussage eine ähnliche Schock-Situation wie die Wirkung der Musik seines Idols Ornette Coleman in den 50er Jahren. So spielt er mit mehreren Ensembles (u. a. das späte Naked City, Painkiller oder zuletzt das Moonchild Trio) eine Mischung aus Free Jazz, Hardcore, Punk, Noise und Death Metal. Oft wurden Veröffentlichung aus dieser Kategorie von Kontroversen begleitet, weil Zorn den Stücken obszöne Titel gab und die Coverhüllen der CDs mit grausamen Bildern versah.
  6. Tribute an die Größen der Jazztradition: Zorn präsentierte im Verlauf seiner Karriere Hommagen an so unterschiedliche Jazz-Musiker wie Ornette Coleman, Hank Mobley, Lee Morgan und Sonny Clark. Dabei grenzt er sich entschieden von der traditionalistischen Bewegung im Jazz um Wynton Marsalis ab, die er gar als „rassistisch“ bezeichnete.[5]
  7. Neue Musik: insbesondere in den 1990er Jahren entstanden mehrere Kompositionen, die Zorn für klassische Konzertmusik-Ensembles schrieb. Dazu gehören u. a. die Alben Angelus Novus und Chimeras.
  8. Radical Jewish Culture: seit Anfang der 90er Jahre widmet sich Zorn zunehmend intensiv der künstlerischen Verarbeitung seiner jüdischen Wurzeln. So entstanden die inzwischen drei Masada Songbooks sowie die Bewegung der Radical Jewish Culture, gleichzeitig auch der Name einer entsprechenden Reihe auf Zorns Plattenlabel Tzadik.

Zorn komponierte auch viele Film-Soundtracks, u. a. für Martina Kudláčeks Dokumentarfilme Im Spiegel der Maya Deren (2001) oder Notes on Marie Menken (2006) und arbeitete für Orchester und Ensembles wie z. B. das Kronos Quartet.

Auf seinen Musiklabels Tzadik und Avant hat er eine große Fülle von Alben eingespielt und produziert. Sehr viele Werke, die unter Zorns Namen veröffentlicht werden, wurden von ihm lediglich komponiert. So schrieb er mindestens vier verschiedene Songbooks: das Mitte der 90er Jahre entstandene erste Masada-Songbook (205 Titel), Book of Angels (2004; 316 Titel), Book Beriah (2009) und The Bagatelles (2015; 300 Titel)[6]. Sie werden nach und nach von verschiedensten Musikern vertont, sowohl von Angehörigen der New Yorker Downtown-Szene als auch von Anderen, z. B. Pat Metheny.

Insbesondere das frühe Schaffen von Zorn – die game pieces, file-card pieces, Naked City – zeichnen sich durch „Maximalismus“ aus, in expliziter Opposition zum damals in der Konzertmusik vorherrschenden Minimalismus.[7] Zorns Kompositionen aus dieser Zeit bestehen oft aus kurzen, sprunghaft wechselnden Versatzstücken, die auf unterschiedliche Musiktraditionen (einschließlich Popmusik und von Animationsfilm-Musik inspirierte Elemente) zurückgreifen. Auch kam in seiner Musik bis in die 90er hinein Melodie als Strukturelement kaum vor – dies änderte sich vor allem durch das Masada-Quartett, mit dem er auch erstmals Jazz spielte.[8]

In der aktuellen Ausgabe des Jazzbuch wird John Zorn als der herausragende und einflussreichste Jazzmusiker der Gegenwart bezeichnet. Diese Einschätzung ist aber sehr umstritten, weil Zorns Musik sich nicht in erster Linie aus der afro-amerikanischen Musiktradition herleitet. Vielmehr stellt diese nur einen Einfluss unter vielen dar. Zorn lehnt die Bezeichnung Jazzmusiker für sich selbst rigoros ab.

Eine sehr große Rolle in Zorns Schaffen spielt die Verknüpfung von Musik mit visueller Kunst, einschließlich der Album-Cover, die oft zu Kontroversen führten.[9] Bei der Erstellung der Cover für seine Tzadik-Veröffentlichung arbeitet Zorn mit der Designerin Chippy (Heung Heung Chin) zusammen. Der Künstler selbst sagt zur Bedeutung des Visuellen in seiner Kunst:

„I think that the visual nature of a presentation in a package is very important, and I love working on it. (…) And I am addicted to the connection of visual with sound. (…) To me, they are intrinsically connected.“[10]

Auswahl wichtiger Alben

Videoalben

  • Claudia Heuermann: A Bookshelf on Top of the Sky: 12 Stories about John Zorn (Doku)
  • Antonio Ferrera: Masada Live at Tonic 1999
  • Claudia Heuermann: Sabbath in Paradise

Literatur

  • Garhard Kaucic/Timothy Liegeti: Guy Debord John Zorn Friederike Mayröcker Philippe Sollers: tel quel jardins des plantes et D mots/scribble and voice. – In: Die Grüne F Abyss. Internationale polylinguale Zeitschrift für Grüne Kultur/Politik. Nr. 16b/1996, S. 117ff.
  • Jazzthetik, Juli/August 1988: Interview mit Arne Schumacher.
  • Neue Zeitschrift Für Musik, Februar 1991: Der Architekt der Spiele Interview mit Art Lange; Früchte des (John) Zorn – improvisierte Musik im Zeitalter der Simulation.
  • Jazz Podium, Mai 1995: Artikel von Mathias Bäumel.
  • Bill Milkowski: John Zorn - Genius at Work; im Magazin Downbeat vom Oktober 2013, Vol. 80, Nr. 10, Seite 38–43
  • Neue Zeitschrift Für Musik, Mai/Juni 1998: „Radical New Jewish Culture“ – Artikel von Peter Niklas Wilson.
  • Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann: Das Jazzbuch: Von New Orleans bis ins 21. Jahrhundert. S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-596-15964-2.
  • Richard Cook, Brian Morton: The Penguin Guide to Jazz on CD. 6. Auflage. Penguin, London 2002, ISBN 0-14-051521-6.
  • Tamar Barzel: New York Noise: Radical Jewish Music and the Downtown Scene. Indiana University Press, Bloomington, Indianapolis 2015, ISBN 978-0-253-01557-0.

Lexikografische Einträge

  • Carlo Bohländer, Karl Heinz Holler, Christian Pfarr: Reclams Jazzführer. 4., durchgesehene und ergänzte Auflage. Reclam, Stuttgart 1990, ISBN 3-15-010355-X.
  • Martin Kunzler: Jazz-Lexikon. Band 2: M–Z (= rororo-Sachbuch. Bd. 16513). 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-16513-9.
  • Richard Cook: Jazz Encyclopedia. Penguin, London 2006, ISBN 978-0-14-102646-6.

Weblinks

Commons: John Zorn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen und Anmerkungen

  1. All That Brooklyn Jazz The borough is where it's at, Village Voice vom 23. Januar 2013, abgerufen 6. Dezember 2013
  2. Was ist jüdische Musik? www.hpk-info.de, 25. Januar 2002, abgerufen am 15. April 2011.
  3. Stiftung Bibel und Kultur - Auszeichnungen. Abgerufen am 27. Dezember 2019.
  4. Das Jazzbuch, 2011, S. 233–238.
  5. „Ich glaube in gewisser Hinsicht ist es rassistisch. Alles, was andere Sichtweisen oder andere Ausdrucksformen ausschließt, ist, finde ich, rassistisch.“, zitiert in Das Jazzbuch, 2011, S. 237.
  6. News auf der Tzadik-Website, abgerufen am 14. August 2015.
  7. Barzel (2015), S. 90.
  8. Barzel (2015), S. 124.
  9. Barzel (2015), S. 93–95.
  10. Zitiert in Barzel (2015), S. 93; Übersetzung: „Ich denke, dass die visuelle Natur der Präsentation [eines Albums] sehr wichtig ist, und ich liebe es, daran zu arbeiten. (…) Und ich bin süchtig nach der Verbindung des Visuellen mit Klang. (…) Für mich, die beiden sind intrinsisch miteinander verbunden.“
  11. Die Auswahl wichtiger Alben von John Zorn fand angesichts des großen Umfangs seines Werkes anhand der Bewertungen des Penguin Guide to Jazz in der 6. Auflage von 2002 statt. Es wurden nur Alben aufgenommen, die die höchste (****) bzw. zweithöchste (***(*)) Bewertung erhielten. Als bestes Werk Zorns sehen die Autoren das Album The Big Gundown (1985), das sie zusätzlich zu der Höchstbewertung mit dem Prädikat der Krone versehen. Sie betrachten das Morricone-Projekt als „eines der essentiellsten Werke der 1980er Jahre“. Weitere Grundlage bietet das Kapitel über Die Platten des Jazz im Jazzbuch von Joachim-Ernst Berendt und Günther Huesmann in der 3. Auflage der 7. Ausgabe von 2011.
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